WegBegleiter

Seelenweg und Seelenvision

Gott blickte in einen Spiegel, das Glas zerbrach. Jeder Splitter ist eine Seele, die zurück will in den Spiegel und vor Gottes Angesicht.

Eine Nahtod-Erfahrung

Ein Freund von mir sprang dem Tod von der sprichwörtlichen Schippe. Nach einer schweren Operation trat Herzstillstand ein. Die Reanimation war jedoch erfolgreich. Nachdem er sich erholt hatte, beendete er seine Karriere als Börsenmakler und startete eine Ausbildung zum Heilpraktiker. Auch sein Wesen schien von Grund auf verändert.
Auf die Fragen danach, was er in dem Moment des klinischen Todes erlebt hätte, lächelte er lange Zeit nur. Erst etwa ein Jahr nach der Operation sprach er mit mir darüber, während wir wie so oft spazieren gingen. „Es stimmt, was man so hört über Nahtod-Erfahrungen“, erklärte er. „Da ist das Licht, man fühlt sich leicht und gut. Ich wollte unbedingt in dieses Licht.“ „Warum bist du zurückgekehrt?“, fragte ich.
„Mir ist dasselbe passiert wie vielen anderen, die lieber ins Licht gegangen wären.“ Er seufzte, ich wartete. Nach einer Weile fuhr er fort: „Ebenso sanft wie bestimmt wurde ich zurückgeschickt. Als ich nach dem Grund fragte, wurde mir vermittelt, dass ich meine Aufgabe noch nicht erfüllt hätte.“
„Deine Aufgabe?“ Abrupt blieb ich stehen und sah ihn an. Ich war sehr irritiert, das ergab für mich keinen Sinn. „Du hast doch viel geleistet in deinem Beruf, warst auch immer ein guter Bruder, Onkel, Schwager und Freund.“
Sein Lächeln leuchtete in seinen Augen, als er leise erwiderte: „Es geht um die eigentliche Aufgabe, um das, was die Seele will.“
Nachdem mein Freund seine Prüfungen bestanden hatte, absolvierte er eine Weiterbildung zum Trauerbegleiter. Mittlerweile ist er seit Jahren selbständig. Zusammen mit seiner Frau, die er während der Trauerbegleitung kennengelernt hat, führt er eine gutgehende Praxis.

Seelenweg, Bestimmung und Intuition

Die beiden Geschichten gehören zusammen und zwar etwa so. Alle Seelen wollen heim in den Spiegel, aber nicht sofort. Jede Seele hat eine Bestimmung, die sie auf einen ganz besonderen Weg führt. Auch wenn uns der Gesamtzusammenhang, das große Ganze, nicht bewusst ist, spüren wir etwas von dieser Bestimmung. Sie hat etwas mit unseren Talenten, Neigungen und Sehnsüchten zu tun, ebenso mit unseren Ängsten und dem, was wir intuitiv ablehnen. Dies ist uns mehr oder weniger bewusst, wir spüren und wissen es – irgendwie.
Darüber hinaus ist unsere Seele ununterbrochen damit beschäftigt, uns in der Spur zu halten. Aus den Bereichen jenseits der physisch-psychischen Ebene – aus den Tiefen unseres Seins – teilt sie sich mit in ihrer Sprache, nämlich der Sprache der Bilder. In Träumen, in der Meditation, in Déjà vus, im Flow und vor allem durch Intuition kommuniziert sie mit uns. Die Frage ist, ob wir ihr zuhören oder ihre Botschaften ignorieren.
Ich habe gelernt, dass es für mich das Beste ist, meiner Intuition zu folgen. Immer dann, wenn ich es nicht getan habe, ging es schief. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, ist mir klar, dass ich mit jeder Entscheidung gegen mein Bauchgefühl, einen Umweg einschlug oder sogar einen Abweg.
Umwege sind nicht so tragisch, mitunter bringen sie sogar etwas Dynamik in das Geschehen und/oder neue Erkenntnisse. Immerhin führt der Umweg wieder zurück. Problematisch sind die Abwege. Nicht nur nach meiner Erfahrung führen sie zu Unwohlsein, Verzweiflung, physischen und psychischen Erkrankungen.

Seelenvision

Dem Weg der Seele liegt eine Vision zugrunde. Weg und Vision sind untrennbar miteinander verbunden, bedingen sich gegenseitig, sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Vision führt dazu, dass wir unseren Weg finden oder darauf bleiben oder immer weitergehen. Der Weg seinerseits konkretisiert die Vision, bringt sie in die Realität. Mit jedem Schritt auf diesem Weg wird die Vision klarer. Den Weg zu gehen und dadurch die Vision zu leben, ist allerdings eine Lebensaufgabe. Wir nähern uns an, Schritt für Schritt; wir leben sozusagen nach und nach unsere Vision. Man könnte es auch so ausdrücken: Die Seelenvision zeigt sich nicht in Gänze, sondern in Teilvisionen, die erst in der Umsetzung, also einem Schritt auf dem Weg, konkreter wird. Ich glaube an Reinkarnation, daran; dass die Seele als der unsterbliche göttliche Teil, als das Atman, das von der gleichen Beschaffenheit ist wie das Brahman, die Weltenseele, mehrere Leben lebt. Die Seelenvision entfaltet sich im Verlauf vieler Leben, immer in dem für diese Inkarnation passenden Gewand. Zu wissen, dass wir Zeit haben, finde ich ungemein entspannend. Ganz zum Schluss, wenn die Vision in ihrer Gesamtheit erkannt und gelebt ist, kehrt die Seele zurück in den Spiegel des Brahman.