Wenn die Lektorin in den Tag hineinträumt …

… und das innere Kind übernimmt

Mein Blick schweift über den Schreibtisch. Neben dem Laptop liegen Notizen: DINA-A-4-Blätter in zwei Stapeln, beide mit einem Buch obendrauf – zum Stabilisieren. Der eine ist für die neue Wilma und der andere für die nächste Mia.

„Klaro“, sagt die Wilma und grinst. Ihre Zahnlücke blitzt auf wie ein kleiner Diamant. „Ich kriege ein neues Outfit, Layout und Illustrationen, kleine Änderungen im Text – so was halt.“

Sie sitzt auf ihrem Bücherstapel, ist so groß wie eine Barbiepuppe und schlenkert mit den Beinen. Ihr linkes Bein verdeckt das „es“, die Endung von „Deutsches“. Zuoberst auf ihrem Stapel liegt nämlich Der kleine Duden – Deutsches Wörterbuch, mein tägliches Handwerkszeug.

„Was heißt hier kleine Änderungen?“, maule ich, denn ich fühle mich nicht gewürdigt. „Von wegen … Neuauflage bedeutet in deinem Fall, dass deine Autorin und ich noch mal den gesamten Text lesen. Die Illustratorin zeichnet alle Bilder neu und dann muss noch eine Layouterin ran.“

„Du als Lektorin bist da vielleicht, na ja, ein bisschen verkrampft.“ Vor Vergnügen schlägt sich die Wilma auf die Knie.

Auf dem Stapel daneben, genauer gesagt auf Aspekte erzählender Prosa von Jochen Vogt, steht Mia und übt Karate. Mit einem lauten „Hah“ haut sie mit der rechten Hand nach unten durch die Luft, dass es nur so zischt. Gleichzeitig macht sie mit dem rechten Bein einen Ausfallschritt nach vorne. Danach federt sie wieder zurück in die Ausgangsposition und steht kerzengerade. Das sieht ihr ähnlich. „Ich kriege bald einen neuen Band“, erklärt sie ruhig. „Ist dann der dritte. Margareta hat aber gerade eine Schreibblockade.“

Unwillkürlich nicke ich. Margareta Schenk, Mias Schöpferin, hat derzeit viel um die Ohren.

„Kriege ich auch, demnächst – Band drei und vier“, sagt die Wilma ganz schnell. „Bei meiner hapert es auch ein bisschen.“

Auch hier nicke ich. Babett Jacobs, Wilmas Schöpferin, hat genauso viel um die Ohren.

„In meinem Band drei geht es im Märchenland total durcheinander.“ Mia wirft der Wilma einen vielsagenden Blick zu.

„Wow.“ Wilma macht große Augen. „Das klingt aber spannend. Bei mir geht es um einen Hund und dann um Weihnachten.“

„Oh! Prima!“ Mia grinst.

Beide lachen. Ja, so sind sie, sympathisch und nicht neidisch – wie ihre Schöpferinnen. Dann werden sie blasser und – verschwinden. Zwei starke Mädchen, mit denen ich mich gut verstehe.

Jacobs, Babett (2017): Die WILMA. Jacobs Children’s Book / Jacobs, Babett (2017): Die WILMA hat Ferien. JCB

Schenk, Margareta (2015): Mias Traum / Schenk, Margareta (2017): Mias Abenteuer. Kelebek Verlag