Räuber unter sich – Wenn der Hauke mit dem Fiolito …

Da liegt es vor mir, das Räuberbuch, noch druckfrisch: Hauke Rabauke und Oskar der Höllenhund, geschrieben und illustriert von Ines Gölß, veröffentlicht in Maria Schenks Kelebek‑Verlag, lektoriert von mir. Rundum gelungen ist es, wie ich finde. Natürlich bin ich nicht objektiv. Schon während dem Lektorat kam mir immer wieder ein anderer rauer Geselle in den Sinn, der Räuberhauptmann Fiolito aus Astrid Lindgrens Kurzgeschichte Im Wald sind keine Räuber. Astrid Lindgren, eine Heldin meiner Kindertage und darüber hinaus bis heute. Ich lege beide Bücher vor mir auf den Tisch, die Sammlung fantastischer Erzählungen der schwedischen Bestsellerautorin des vergangenen Jahrhunderts und unser ganz frisches, neues Räuberbuch.

Ich erinnere mich noch gut. Fiolito, ein dicker Räuberhauptmann alter Schule, hat es auf die unendlich kostbare Perlenkette der Puppe Mimi abgesehen. Mimi sitzt in dem Puppenhaus, mit dem Peters Oma schon gespielt hat. Der siebenjährige Peter, Held der Geschichte, kommt eines Tages nach dem Spielen ins Zimmer gestürmt, mit dem Holzschwert in der Hand, und schreit: „Im Wald sind keine Räuber.“ Dann weiß er nicht, wie ihm geschieht, aber er findet sich – schwupps – im Puppenhaus wieder, Auge in Auge mit Mimi. Also ist er geschrumpft. „Doch“, erklärt Mimi etwas ungehalten, „und ob es Räuber im Wald gibt.“ Am Ende verteidigt Peter Mimi und ihre Halskette gegen den dicken Fiolito mit dem Riesenhut und dessen Bande.

Hauke Rabauke ist da ein ganz anderes Kaliber. Er ist noch ein junger Räuber, wäre lieber Seeräuber geworden, haust jetzt aber im Düsterwald. Anders als Fioloto ist er die Hauptperson in Ines Gölß‘ Geschichte. Die jungen Leser erfahren viel mehr über ihn. Räuber hin oder her, wird er zu dem Freund, mit dem die Geschichte erlebt wird. Ich blinzele. Vor mir auf den Einbänden der Bücher regt sich etwas.

„Ich backe am liebsten Schokoladentörtchen“, erklärt Hauke und dreht den Kopf so, dass er Fiolito auf seinem Cover in die Augen sehen kann. „Außerdem lerne ich zaubern bei meinem Freund Ambrosius. Aber mein bester Freund ist Oskar, genannt der Höllenhund.“ „Hohoho“, grölt Fiolito und hält sich auf seinem Cover den dicken Bauch, „so ein Höllenhund wäre nach meinem Sinn. Ich klaue Ketten.“ Im Hintergrund machen seine Räubergesellen Krawall.

Ich schüttele den Kopf. Die Figuren auf den Einbänden schweigen jetzt. Unterschiedlicher können Räuber doch gar nicht sein. Was haben Hauke und Fiolito gemeinsam? Die Antwort ist denkbar einfach: eigentlich nicht viel, nur, dass man sie beide irgendwie mag und dass die Geschichten um sie herum funktionieren.

Ganz entscheidend ist die Anlage der Figuren, insbesondere der Hauptfigur und der wichtigen Nebenfiguren. Das gilt immer, aber ich bleibe jetzt mal bei Räubergeschichten für Kinder. Glaubwürdig muss der Räuber sein. Das bedeutet in jedem Fall: etwas verwegen und „leicht kriminell“. Darüber hinaus muss er aber ein richtiger Typ sein mit Eigenschaften, Stärken und Schwächen. Auf keinen Fall zu glatt.

So einer ist Fiolito. Ein ganzer Kerl, ein Dieb, aber nicht so richtig böse, obwohl er zornig werden kann. Am Ende legt Mimi ihn rein und er zieht nicht mit der kostbaren Kette von dannen, sondern mit einer billigen Imitation – unter triumphierendem Gegröle. Damit hat Fioloito in Astrid Lindgrens Geschichte seine Aufgabe erfüllt, die des nicht ganz so bösen Antihelden.

Ganz anders bei Hauke. Alles dreht sich um ihn, er ist Angelpunkt und Motor des Geschehens. Ein ganzer Räuberkerl ist er, kreativ und mutig. Aber er ist auch ein ganzer Mensch oder besser: ein ganzes Kind, also keinesfalls glattgebügelt. Er baut Mist und schwindelt, gleichzeitig ist er gutmütig, lässt sich ausnutzen, macht auch vernünftige Sachen. Außerdem hat er eine vielseitige und damit spannende, inspirierende Persönlichkeit. Er liebt seinen Hund, möchte zaubern lernen, backt für sein Leben gern und reimt, was das Zeug hält.

Im Verlauf der Geschichte lernt Hauke dazu und sieht Dinge ein. Am Ende gibt er sein Bestes, um das von ihm verursachte Chaos in Ordnung zu bringen. Sogar seine Räuberkumpane bändigt er. Auch kommt er schließlich mit dem ehemaligen Hauptkommissar Berthold Schlaumeier klar. Nur die Sache mit Rosalie, der Tochter vom Bäckermeister Leckerschleck, in die er verknallt ist, klappt nicht. Also im ersten Band nicht, aber wer weiß …?

Hauke entwickelt sich, ohne dass an irgendeiner Stelle der moralische Zeigefinger erhoben wird. Allein durch die Handlung, Haukes Gefühle und Taten erlebt der kindliche Leser, dass persönliche Schwächen dazugehören, aber die eine oder andere auch überwunden werden kann – durch eigenes Zutun. Ganz sachte klingen unaufdringlich Themen an, die uns alle umtreiben: Freundschaft; Mut; die Bereitschaft, eigene Fehler einzugestehen und Lösungen anzugehen.

Bravo, Hauke!